Kapitel Baumwolle
Ein paar Jeans, ein bequemes T-Shirt oder die Masken die nun unseren Alltag prägen, sie alle sind aus dieser alten Kulturpflanze Baumwolle, die schon seit Jahrhunderten aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Zwar gibt es bis 50 wilde Arten von Baumwollpflanzen, für die industrielle Textilproduktion sind aber de facto lediglich vier Kulturpflanzen von Bedeutung, aus deren kugeligen Früchten die weißen, langen und wolligen Samenfasern gewonnen werden. Um zu gedeihen brauchen diese Baumwollsträucher ein tropisches bis subtropisches Klima. Nach nur neun Monaten werden die eigentlich langlebigen und robusten Pflanzen abgeerntet, abgeschnitten und ausgerissen um im kommenden Jahr wieder neu angebaut zu werden.
Im Kapitel Baumwolle des Lieferkettenatlas wollen wir am Beispiel der flauschig leichten Bettdecke „Malaika“, die im oberösterreichischen Leonding von der Firma „Betten Reiter“ produziert wird zeigen, wie eine vorbildliche Lieferkette in der sonst so dreckigen Textilindustrie aussehen kann.
Wir behandeln dabei den Anbau von Baumwolle, die Missstände die damit mitunter einhergehen und warum es wichtig ist, zu wissen wie der Stoff entstanden ist, der sich an die eigene Haut schmiegt. Wir klären über die internationale Textilindustrie auf und zeigen, worauf beim Kauf von Baumwollwaren aller Art zu achten ist.
Der Großteil der Baumwolle, die sich in unseren Kleidern und Alltagstextilien findet, stammt aus Indien, China oder den USA. Da die Erträge aus den Baumwollernten jedoch stark vom Wetter abhängen unterliegen sie relativ großen Schwankungen. Das führt auch dazu, dass die Baumwollpreise ständig neu bemessen werden.
Für das Erntejahr 2021/2022 wird auf indischen Baumwollplantagen eine Erntemenge von rund 29 Millionen Baumwollballen prognostiziert, auf Chinas Plantagen werden rund 27 Millionen Baumwollen und in den USA rund 17 Millionen Baumwollballen erwartet.
In all den drei führenden Produktionsländern gehen mit der Baumwollproduktion große Missstände einher, doch bevor wir auf diese näher eingehen, starten wir lieber mit einem äußerst positiven Beispiel: der Baumwollproduktion in Kirgistan, von dort kommen auch die Pflanzenfasern für unsere Vorzeige-Bettdecke.
Erntemenge der führenden Anbauländer
weltweit 2021/2022 – in 1000 Baumwollballen (Ein Ballen ca. 218 Kilogramm)
Von der Pflanze bis zur Decke
Zugegeben, die Baumwolldecke „Malaika“ ist kein durchschnittliches Baumwollprodukt. Sondern wir haben sie als Beispiel gewählt, weil ihre gesamte Lieferkette zu Hundert Prozent nachvollziehbar ist und wir auch zeigen wollen, wie wirklich sauber, ökologisch, nachhaltig und sozial produziert werden kann. Und das obwohl es sich bei der Textilindustrie um eine der dreckigsten und schädlichsten aller Branchen handelt.
Zum einen, wird die Decke in Oberösterreich in der hauseigenen Manufaktur von Betten Reiter in Leonding gefertigt. Zum anderen sind sowohl der Stoff, als auch die Füllung der Decke ausschließlich aus Fairtrade zertifizierter Baumwolle. Diese Baumwolle stammt aus dem Gebiet Dschalalabat im Süden von Kyrgyzstan. In der gleichnamigen Stadt Dschalalabat sitzt die Baumwollkooperative ACSC („Agricultural commodity and service cooperative“). Die Koooperative ist seit 2008 von Fairtrade zertifiziert und vereint rund 1000 Kleinbauern und Kleinbäuerinnen.
Kirgistan: Ein Land das auf eine zu 100 Prozent ökologische Landwirtschaft setzt
Das zentralasiatische Kirgistan, ehemals Mitglied der Sowjetunion, ist ein armes Land. Die Grundlage für die bis heute schwache nationale Wirtschaft ist die Landwirtschaft.
Gerade deswegen setzt die Regierung auf biologische Landbau, der dem Land einen Ausweg aus der Verschuldung ermöglicht und die Arbeit und das Leben rund um die Baumwollfelder für die Bauernfamilien nicht so gesundheitsschädlich macht, wie bei der konventionellen Baumwollproduktion. Denn ohne teure und giftige Chemikalien können die Bauernfamilien ein höheres Einkommen erzielen ohne schwer krankt zu werden.
Kirgistan ist neben Bhutan das zweite Land weltweit, das so konsequent auf eine flächendeckende ökologische Produktion hinarbeitet. Ende 2018 gab das kirgisische Parlament einen Zehnjahresplan bekannt: Bis 2028 soll die gesamte Landwirtschaft auf ökologischen Landbau umgestellt sein.
Klicken Sie auf die Markierungen, um mehr zu erfahren!
Anders als in Kirgistan, wo sich der Staat so stark regulierend in die Baumwollproduktion einbringt, führen die weichen weißen Fasern auf vielen anderen Teilen der Erde zu erheblichen Konflikten. Es kommt zu Kämpfen um das lebensnotwendige Wasser in den Regionen, den anfallenden Giftmüll und das Land der indigenen Bevölkerung.
Wo der Anbau von Baumwolle zu Konflikten führt
Quelle: EJAtlas
Klicken Sie auf die Markierungen, um mehr zu erfahren!
Nach diesem Einblick, kommen wir zurück zu den Ländern, wo der Großteil Baumwolle in unserem Alltag herkommt und werfen einen Blick nach Indien, wo die Baumwollindustrie zum großen Leid der Menschen vor allem durch Kinderarbeit und giftige Pestizide geprägt ist.
Indien: Kinderarbeit und giftige Pestizide
Doch Kinder die ausgebeutet werden und auf Plantagen schuften müssen, statt zur Schule zu gehen und Bauernfamilien die an giftigen Pestiziden erkranken oder sogar daran versterben sind nur der Beginn einer langen Reihe an Missständen in der Baumwollproduktion. Auch in China, dem Land in demnach Indien die zweithöchste Menge an Baumwolle angebaut wird, herrschen es massive menschenrechtliche Probleme auf den Plantagen.
China: Baumwolle aus Zwangsarbeit
Dreckige Textilindustrie
Eingestürzte oder brennende Textilfabriken in Bangladesh, junge Mädchen an Nähmaschinen in Indien und andere Horrorbilder aus den Textilhöllen in Südostasien haben sich inzwischen in unser aller Gedächtnis eingebrannt. Das die Textilindustrie schmutzig ist und furchtbares Leid verursacht ist nun wirklich kein Geheimnis mehr.
Aber dass sich diese grauenhaften Fabriken, in denen Stofffetzen im Akkord produziert werden, längst nicht mehr nur im globalen Süden, sondern auch in unseren europäischen Nachbarländern befinden, ist bisher wenig bekannt. Obwohl im Jahr 2021 tatsächlich wesentlich mehr Kleidung aus der Türkei, Italien oder Polen in den deutschen und österreichischen Geschäften hingen, als aus Pakistan, Indien oder Vietnam. Wer nun meint, dass dies auch eine positive Entwicklung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen für die Frauen in den Fabriken wäre und man beim Kauf von billigen T-Shirts nun weniger furchtbare Bilder im Kopf haben muss, irrt jedoch. Denn es ist keineswegs so, dass die Produktionsbedingungen im reichen Westen auch nur ein Stück weit besser wären. Im Gegenteil, mit der Rückkehr der Textilindustrie nach Europa, sind auch die prekären und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zurückgekommen.
Wichtigste Herkunftsländer für Textil- und Bekleidungsimporte in Deutschland
nach Einfuhrwert im Jahr 2021 (in Millionen Euro)
Zwar wurden im Jahr 2021 immer noch der Großteil der Textilien und Bekleidung im deutschsprachigen Raum aus China importiert, jedoch hat nicht zuletzt die Corona-Krise den Trend zur Produktion in Europa massiv verstärkt. Schließlich rattern nicht nur die Nähmaschinen in der Fashion Industrie immer schneller, auch die neuesten Kleider sollen am besten nur noch einen Klick von der eigenen Haustür entfernt sein. Die Geschwindigkeit in der Fast Fashion Industrie ist inzwischen so schnell, dass Lieferzeiten von mehr als drei Tagen zu Nachteilen im Wettbewerb führen. Das bedeutet natürlich, dass lange Lieferwege, wie die aus Asien unattraktiver werden. Wenn jede Woche neue Waren in den Geschäften hängen und online mit kurzfristiger Lieferung verfügbar sein sollen, dann dauert der vier bis sechs Wochen lange Transport mit dem Containerschiff über den Seeweg einfach viel zu lange. Zudem sind die chinesischen Fabriken auf gigantische Stückzahlen spezialisiert, kleinere Produktionsmengen sind in der Herstellung verhältnismäßig teuer.
Und – das ist wohl noch viel wichtiger für die Auftraggeber – die chinesischen Löhne sind in der Textilindustrie in den letzten Jahren gestiegen, da die gigantischen Elektronikfabriken wie Foxconn so florieren, dass sie ein Konkurrenzangebot für die niedrig bezahlten Arbeiter*innen darstellen.
Die unheimliche Rückkehr der Textilindustrie nach Europa
Alte Hochburgen der Textilindustrie wie Leicester in Großbritannien werden von Fabrikanten also ebenso wieder entdeckt, wie die günstigen osteuropäischen Produktionsstandorte in Rumänien oder Bulgarien. In Bangladesch, Myanmar und Kambodscha wurden hingegen im letzten Jahr so dermaßen viele Bestellungen storniert, dass die Textilfabriken, die noch nicht zusperren mussten, um ihr Überleben bangen. Gerade die Industrie in Bangladesch trifft das besonders hart, weil das Land so abhängig von der Kleiderproduktion ist wie kaum ein anderes.
Denn anteilsmäßig macht Bekleidung vier Fünftel, beziehungsweise 84 Prozent der Gesamtexporte von Bangladesch aus. Während der Corona Pandemie kam es zu einem Exportrückgang von 34.133 Millionen US-Dollar im Jahr 2018/2019 auf 27.949 Millionen US-Dollar im Jahr 2019/2020. In den etwa 4000 Fabriken des Landes arbeiteten vor der Corona Krise etwa vier Millionen Menschen, rund eine Million von ihnen haben ihre Arbeit zumindest zwischenzeitig verloren, obwohl Textilfabriken aus jedem Lockdown ausgenommen waren. In Kambodscha lief es ähnlich, ein Sprecher des Arbeitsministeriums verlautbarte im April 2020, dass mindestens 91 Bekleidungsfabriken wegen der Auswirkungen der Corona-Krise die Arbeit einstellen mussten und 61.500 von etwa 850.000 Beschäftigten ohne Arbeit dastanden. Fast jede sechste Fabrik soll in der Branche, die der größte Arbeitgeber des Landes war, geschlossen worden sein.
In der Textilhölle Großbritanniens
„Cut, Make & Trim“ in Rumänien
Die BETTEN REITER Manufaktur in Leonding
Ein passendendes positives Beispiel für die Produktion eines Textilproduktes zu finden war gar nicht so einfach. Denn die Textilindustrie in Österreich ist inzwischen sehr klein und beschäftigt nur noch rund 10.000 Menschen. Noch schwieriger wird es, wenn man so wie wir auch noch eine zu hundert 100 Prozent transparente und vorbildliche Lieferkette beschreiben will.
Aber bei der Baumwolldecke „Malaika“ von Betten Reiter sind wir fündig geworden. Denn die Decke wird zur Gänze in der hauseigenen Manufaktur von Betten Reiter im oberösterreichischen Leonding gefertigt. Und der Stoff, die Füllung und selbst die Fäden der Decke stammen ausschließlich aus Fairtrade zertifizierter Baumwolle. Nun sehen wir uns also an, wie aus den Baumwollsamen unsere Bettdecke entsteht.
In der Bettenreiter Manufaktur arbeiten 15 Näherinnen. Anders als die Textilarbeiter*innen in Großbritannien, Rumänien, der Türkei, China, Bangladesch oder Myanmar sind sie jedoch ordentlich angestellt und sozial abgesichert.
Jede einzelne von ihnen ist dauerhaft und langjährig im Unternehmen tätig und ihre Arbeitsverhältnisse unterliegen einem Kollektivvertrag, der alle ihre Rechte sicherstellt.
Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden, sie erhalten zusätzliche Sozialleistungen und werden mit einem höheren Gehalt entlohnt, als es der österreichisch Kollektivertrag für die Textilindustrie vorsieht.
Die Firma Bettenreiter zeigt, dass auch in der so dreckigen, von Missständen geprägten Textilindustrie, sauber, nachhaltig, transparent und sozial produziert werden kann. Deswegen spricht sich das heimische Unternehmen auch für ein Lieferkettengesetz aus, damit auch internationale Konzerne endlich auf verträgliche Art produzieren müssen.